Eine frühzeitige Demenzdiagnose kann sich positiv auf den Krankheitsverlauf auswirken. Für Prof. Dr. Peter Dal-Bianco, Präsident der Österreichischen Alzheimer Gesellschaft, ist es deshalb ein Anliegen, mit Vorurteilen über das „Schreckensbild Demenz“ aufzuräumen.
Univ.-Prof. Dr. med. Peter Dal-Bianco
FA. Neurologie & Psychiatrie, Medizinische Universität Wien,
em. Präsident der Österreichischen Alzheimer Gesellschaft
Mehr Infos: www.dal-bianco.at
Foto: Privat
Zahlreiche Erkrankungen sind mit Tabus und Berührungsängsten seitens der Gesellschaft belegt. Wie stark schätzen Sie aktuelle Stigmata rund um demenzielle Erkrankungen ein?
Viele ältere Menschen, die zunehmend vergesslich werden, haben Angst vor der Diagnose und den damit verbundenen sozialen, persönlichen und beruflichen Konsequenzen. Sie zögern einen Arztbesuch deshalb lange hinaus oder vermeiden diesen ganz. Verständlich, denn die Darstellung und Beschreibung Demenzkranke:r ist oft entwertend, abstoßend und erschreckend. Man spricht häufig über Demenzpatientinnen und -patienten, aber leider selten mit ihnen.
Laut Alzheimer’s Disease International erhalten nur etwa 25 Prozent aller Menschen, die mit einer demenziellen Erkrankung leben, eine Diagnose. Wie könnte man es schaffen, die Diagnoseraten entsprechend zu erhöhen?
Wichtig ist die Aufklärung, damit dieses Demenz-Schreckensbild aus den Köpfen der Menschen verschwindet. Die weitverbreitete Meinung „Man kann eh nichts gegen Demenz tun“ stimmt nicht! Eine frühzeitige Diagnose ist wichtig und kann den Krankheitsverlauf erheblich beeinflussen. Denn oft vergehen wertvolle Therapiejahre, weil die Phase von den ersten Symptomen bis zur Diagnose sehr lange dauert. Und: Vergesslichkeit bedeutet nicht gleich, dass eine Alzheimerkrankheit vorliegt. Bei rund zehn Prozent der Betroffenen handelt es sich um sogenannte reversible/sekundäre Demenzformen, denen andere Organkrankheiten zugrunde liegen. Behandelt man diese, verschwinden auch meist die Symptome der Demenz.
Als Beispiel kann eine Depression mit deutlich kognitiver Beeinträchtigung, etwa Vergesslichkeit, angeführt werden. Wird die Depression behandelt, verschwindet auch die Vergesslichkeit. Bei der häufigsten Demenzform, der Alzheimerkrankheit, gibt es Medikamente, die das Fortschreiten der klinischen Symptomatik bremsen.
Welche Auswirkungen hätte ein Anstieg der Diagnoseraten auf die Betroffenen oder das Gesundheitssystem, vor allem dann, wenn die Diagnosen zeitgerecht gestellt werden?
Wenn die Diagnoserate steigt, bedeutet das für die Betroffenen und ihre Angehörigen einen wertvollen Zeitgewinn. Einerseits was die Therapiemöglichkeiten anbelangt, andererseits heißt eine frühzeitige Diagnose eben auch, dass Verantwortung übernommen werden kann und Entscheidungen noch selbst getroffen werden können. Menschen mit reversiblen Demenzformen profitieren besonders.
Was das Gesundheitssystem anbelangt, bin ich zuversichtlich, dass ein Anstieg der Diagnoserate gut beherrschbar wäre. Schließlich wäre das kein plötzlicher enormer Ansturm, sondern ein langsamer positiver Prozess.
Gibt es Möglichkeiten, eine Demenzerkrankung zu erkennen, bevor erste Symptome vorliegen?
Die blutbasierte Frühdiagnostik der Alzheimerdemenz mittels sogenannter Biomarker ist ein großes Zukunftsthema. Die Forschung hierzu läuft auf Hochtouren und stimmt uns zuversichtlich. Wenn sich Demenzsymptome zeigen, ist das Gehirn schon stark geschädigt. Mit der Messung solcher spezifischen Biomarker im Blut und der Rückenmarksflüssigkeit soll die Erkrankung in einem so frühen Stadium entdeckt werden, dass ihr Fortschreiten aufgehalten werden könnte.
Welche Rolle spielt im Zusammenhang mit Demenzerkrankungen die Prävention?
Das Demenzrisiko kann durch verschiedene Faktoren positiv beeinflusst werden. So kann bereits im frühen Lebensabschnitt durch Bildung/Neugier eine gesunde neuronale „Hardware“ aufgebaut werden. Wir wissen, dass Funktion und Struktur einander stark beeinflussen. In jedem Lebensalter können bestimmte Maßnahmen, wie etwa körperliche Aktivität, gesunde Ernährung und ein sozial und geistig aktives Leben, das Demenzrisiko senken. Wichtig ist auch, dass Grunderkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen rechtzeitig behandelt werden.
Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation in der Versorgung von Menschen mit einer demenziellen Erkrankung?
Es wurden in den vergangenen Jahren viele sehr gute soziale Möglichkeiten geschaffen und verschiedene Projekte initiiert. Sie alle zielen darauf ab, die Lebenssituation der Betroffenen und ihrer Angehörigen zu verbessern. Allerdings ist die Brücke zwischen Angeboten und Betroffenen/Angehörigen noch schmal und teils unübersichtlich. Hier bedarf es Informationen, wie diese Möglichkeiten optimal genutzt werden können.
Welche Strukturen sind in der Gesundheitsversorgung zu optimieren, damit Patientinnen und Patienten die bestmögliche Behandlung und Betreuung erhalten?
Ziel ist es, dass Menschen mit einer Demenz möglichst lange zu Hause bleiben können. Damit dies gelingt, braucht es ein Netz aus Unterstützungsmöglichkeiten. Dieses ist zwar vorhanden, jedoch teils wenig bekannt und deshalb auch zu wenig genutzt. Hier sehe ich eine wichtige Rolle beim Case Manager, der die Betroffenen und ihre Angehörigen an die Hand nimmt und sie durch den Dschungel an Informationen und Angeboten führt.
Das Bundesministerium für Gesundheit hat in Kooperation mit der Gesundheit Österreich GmbH und der Österreichischen Alzheimer Gesellschaft ein Projekt zur flächendeckenden Qualitätsevaluierung in Österreich lanciert. Ziel soll es sein, dass überall in Österreich eine einheitlich gute Behandlung und Versorgung von Menschen mit Demenz gewährleistet ist. Das beginnt beim Hausarzt, der Hausärztin, der/die oft die erste informierte, kompetente Ansprechperson ist. Er/Sie wird bei Bedarf die betroffene Patientin, den Patienten an eine Spezialambulanz für Gedächtnisstörungen überweisen. In die Evaluierung werden auch Pflegeheime sowie die 24-Stunden-Betreuung zu Hause einbezogen. Nur wenn wir wissen, wo es hakt und wo Probleme auftreten, können wir gezielt optimieren.
Zum Schluss: Was tut sich aktuell in der Demenzforschung?
Nebst der Entwicklung sogenannter Biomarker zur Alzheimerfrühdiagnose läuft die klinische Forschung auf Hochtouren, besonders im Bereich der Kausaltherapien. Diese Therapien sollen den Krankheitsprozess stoppen, sind jedoch in Europa bislang noch nicht zugelassen.
Österreichische Alzheimer Gesellschaft (ÖAG)
Die Österreichische Alzheimer Gesellschaft (ÖAG) wurde 1987 in Wien gegründet. Die Gesellschaft hat mehr als 170 ordentliche Mitglieder: Neurologen, Psychiater und Grundlagenforscher mit besonderem Interesse an Demenzerkrankungen.
Informationen über Ziele und Tätigkeitsbereiche der ÖAG finden Sie unter alzheimergesellschaft.at