Univ.-Prof. Dr. Christian Enzinger erklärt im Interview, inwiefern sich Multiple Sklerose auch auf die Blasengesundheit auswirkt und welche Behandlungsoptionen es gibt.
Dr. Christian Enzinger
Klinische Abteilung für allgemeine Neurologie, Professor für Neurologie
Welches Erkrankungsbild steckt hinter der Diagnose Multiple Sklerose?
Bei Multipler Sklerose (MS) handelt es sich um eine chronisch-entzündliche und autoimmunologisch vermittelte Erkrankung. Schreitet die Erkrankung unbehandelt voran, kommt es zu neurologischen Ausfällen und schubartigen Verschlechterungen des Krankheitsverlaufes. Zu den Symptomen zählen unter anderem Sehstörungen, Empfindungsstörungen, Probleme mit der Koordination oder im späteren Erkrankungsverlauf auch Blasenfunktionsstörungen. Wir können heute jedoch zielgerichtet Medikamente einsetzen, die die Immunantwort an verschiedenen Stellen des fehlgeleiteten Immunprozesses wieder korrigieren.
Sie haben erwähnt, dass MS auch die Blase betreffen kann. Welche Probleme können hier auftreten?
Der Muskel, der die Harnblase verschließt, und jener Muskel, der die Harnblase auspresst, spielen dann nicht mehr richtig zusammen. MS-Patient:innen verspüren entweder einen großen Blasendrang oder können die Harnblase nur unvollständig entleeren. Das ist problematisch, weil sich Restharn über den Harnleiter bis zu den Nieren zurückstaut und so zu einer Nierenfunktionsstörung führen kann. Daher ist es wichtig, dass MS-Patient:innen vorhandene Blasenprobleme ärztlich abklären lassen. Wir müssen lernen, diese Probleme anzusprechen, da 50-80 % der MS-Patient:innen in ihrem Leben einmal mit Blasenfunktionsstörungen zu tun haben.
Welche Behandlungsoptionen gibt es für Blasenfunktionsstörungen bei MS?
Das sind z. B. Kontrolle der Trinkmenge, Regelung des Tagesablaufs, Vorlagen, Medikamente oder die Option, dass sich Betroffene selbst wiederholend katheterisieren. Das bedeutet, dass der Harn abgeleitet wird und sich nicht zurückstauen kann. Mit dem Selbstkatheterismus kann jede:r Patient:in selbst bestimmen, wann Harn abgelassen werden soll. Es ist wichtig zu verhindern, dass Harnwegsinfekte wiederkehrend auftreten.
Worauf sollten Betroffene beim Intermittierenden Selbstkatheterismus achten?
Zunächst ist es wichtig, die Scham zu verlieren, Probleme anzusprechen. Patient:innen erhalten eine Selbstkatheterismus-Einschulung. Außerdem ist von großer Bedeutung, eher früher als später mit dem Selbstkatheterismus zu beginnen. Schließlich tun sich Patient:innen selbst etwas Gutes damit, weil sie damit verhindern, dass es zu sekundären Schäden kommt. Dadurch wird auch die Lebensqualität von MS-Patient:innen verbessert!